Der Besuch im Senioren-Pavillon hat seit mehr als fünf Jahren eine feste Markierung im Kalender von Matthias Kern. Ende November ist der 90jährige Münchner leider überraschend verstorben. Bis dahin hat er jede Woche, von Montag bis Freitag, am gemeinsamen Mittagstisch teilgenommen. „Ich komme jeden Tag, außer ich muss einmal zum Arzt. Aber sonst komme ich jeden Tag“. Mit dem Umzug seiner Frau vor einigen Jahren ins Pflegeheim war Matthias Kern plötzlich allein in der Wohnung, die gemeinsamen Essen gehörten der Vergangenheit an. Der Pavillon am Pfarrer-Steiner-Platz lag damals schon auf seinem Weg zum Pflegeheim, in dem er jeden Tag seine Frau besuchte. Schnell gefiel ihm das Angebot, gemeinsam mit anderen Senior*innen aus seiner Nachbarschaft Mittag zu essen, aber auch zum Ratschen oder für heitere Stunden zusammen zu kommen. „Mit unseren Angeboten stillen wir die Bedürfnisse von Senior*innen ab sechzig nach Begegnung, wir wirken der Einsamkeit entgegen, sorgen für Kontakte, knüpfen ein soziales Miteinander. Wir tun auch was für Körper, Geist und Seele“, fasst Sigrid Bohr-Stieren, Sozialpädagogin im Senioren-Pavillon, die breite Angebotspalette zusammen.

Tatsächlich ist der soziale Mittagstisch nur eines der Angebote, die inzwischen eine liebgewonnene Routine für viele ältere Menschen in den Stadtteilen 11 und 24 geworden sind. Zweimal pro Woche gibt es einen Seniorenkreis mit wechselnden Vorträgen zu vielen verschiedenen Themen, außerdem gibt es Gedächtnistraining, Gymnastik, einen Stammtisch, Computer-Sprechstunde, Kaffeetreff, internationales Frauenfrühstück, Kulturgut oder Küchen der Welt. „Unsere Arbeit wirkt vor allem, weil sie eine Freiwilligkeit bietet, dass sie für jeden das bietet, was er oder sie gerade braucht. Und dass wir immer da sind. Ich glaube, das ist die die größte Wirkung. Die Möglichkeit, dass man einfach vorbeikommt und sich mit seinem Problem oder seinen Sorgen an uns wenden kann“, erklärt Carla Singer, Bereichsleitung Senioren und Sozialpsychiatrie.

Gemeinsame Unternehmungen

„Ich habe mit dem Altwerden sehr viel abgebaut. Aber soziale Kontakte sind enorm wichtig. Wenn man jung ist, Familie hat, ist man fest eingebunden, aber im Alter ist man oft allein. Da ist ein Angebot, wie das des Senioren-Pavillon, etwas ganz Tolles.“ Katharina Kosowski besucht ebenfalls regelmäßig die Veranstaltungen der Offenen Seniorenarbeit im Münchner Norden. Über einen Zeitungsartikel zur Seniorengymnastik in der Seniorenbegegnungsstätte ist die Seniorin auf die Einrichtungen der Diakonie Hasenbergl aufmerksam geworden. Seit mehr als zweieinhalb Jahren nutzt sie das individuelle Beratungsangebot, nimmt an Tagesfahrten und Ausflügen teil. „Ich habe  einen Ausflug zum Magdalenenfest im Hirschgarten mitgemacht. Dort war ich noch nie, aber es hat mir sehr gut gefallen. Ich habe zwei sehr nette Damen kennengelernt und als wir mit der Straßenbahn nach Hause fuhren, haben sie mir sehr stolz alle Ausflugsziele gezeigt, die sie mit ‚Kulturgut‘ kennengelernt haben“, erzählt Katharina Kosowski. Gemeinsam Neues entdecken und staunen - jeden Donnerstag führt die Veranstaltungsreihe die Hasenbergler Senior*innen an neue Orte in München und Umgebung. „‘Kulturgut‘ ist einmalig in München. Die Veranstaltungsreihe findet jeden Donnerstag statt, meistens treffen wir uns um 09.10 Uhr in der U-Bahn-Station Hasenbergl und entdecken gemeinsam, was die Kultur in München und dem Umland zu bieten hat“, erklärt Sigrid Bohr-Stieren, die die Veranstaltungen koordiniert. „Wir staunen gemeinsam über die unglaubliche kulturelle Vielfalt Münchens oder erfahren kuriose Details, die wir vorher noch nicht kannten. Bei ‚Kulturgut‘ geht es aber auch darum, einmal aus der Stadt rauszukommen, wieder Kraft zu tanken an einem anderen Ort, wo man noch nie in seinem Leben war“.  ‚Kulturgut‘ kommt an – jeden Monat dauert es nur einige Tage, bis alle Veranstaltungstermine restlos ausgebucht sind. Teilnehmen kann jede* Senior*in aus dem Münchner Norden.  „Mir ist es wichtig, Kultur einfach erlebbar und für alle zugänglich machen. Im Stadtgebiet 24 gibt es ja auch Menschen mit sehr wenig Geld, über Spenden können wir ihnen ermöglichen, dabei zu sein. Darauf lege ich großen Wert: dass alle, die teilnehmen möchten, auch teilnehmen können“, betont Bohr-Stieren.

Unterstützung durch freiwillig engagierte Mitarbeitende

Die Sozialpädagogin arbeitet seit sieben Jahren im Senioren-Pavillon und hat viele Angebote mit aufgebaut. Eine wertvolle Unterstützung: die zahlreichen freiwillig engagierten Mitarbeitenden, die Computer- und Smartphone-Anwendung etwa beim zweiwöchigen Computerstammtisch erklären, die bei Tanz- und Kaffeenachmittagen unentgeltlich mithelfen. „Wir können diese Fülle an Unterstützungsbedarf gar nicht alleine abdecken. Wir sind darauf angewiesen, dass es Menschen gibt, die bereit sind und auch Lust daran haben, sich zu engagieren und anderen Menschen zu helfen. Wir haben ein breites Netzwerk aufgebaut an Menschen, die sagen: ‚Ich opfere ein bisschen meiner Zeit dafür, dass es eine*r anderen Senior*in ein Stückchen besser geht“, erklärt Carla Singer. „Es sind tatsächlich vorrangig auch Senior*innen, die sich engagieren für andere Senior*innen. Ohne deren Hilfe könnten wir unsere Angebote nicht im gleichen Umfang aufrechterhalten“. Eine von ihnen ist Sonja Hartmann. Gerade legt sie Spielsteine auf ein Spielbrett und nennt nacheinander laut die Zahlen dazu. Es ist Dienstagvormittag, Bingo-Zeit. Seit Corona spielt Sonja Hartmann mit bis zu zehn anderen Senior*innen aus dem Senioren-Pavillon Bingo am Telefon. Jeden Dienstagvormittag wählen sie sich zusammen, ratschen über die Lautsprecherfunktion ihrer meist schnurlosen Telefone und fiebern mit den genannten Zahlen mit. Wer die Zahlen in der richtigen Reihenfolge gelegt hatte, gewinnt eine kleine Überraschung, die während des Lockdowns eben im Briefkasten hinterlegt worden war, heute wieder persönlich überreicht werden kann. Eine kleine Kerze, ein Stück Seife , Schokolade. Akribisch notiert sich Sonja Hartmann die Gewinnzahlen und die Namen der glücklichen Gewinner*innen. „Unser Telefonbingo machen wir immer noch gerne, auch wenn es längst nicht mehr nötig wäre, weil wir ja wieder zusammen kommen dürfen. Aber uns macht es Spaß“. Sonja Hartmann ist eine der mehr als 25 freiwillig engagierten Mitarbeiter*innen des Senioren-Pavillon. Die meisten gehören seit vielen Jahren zum Team. Auch Sonja Hartmann hilf seit mehr als sieben Jahren im Pavillon aus, begleitet bei Tagesfahrten, organisiert Feiern und Feste mit, erledigt Einkaufsdienste für Senior*innen, die selbst nicht mehr so mobil sind. „Ich komme schon lange in den Pavillon. Weil es mir Spaß macht und ich eine sinnvolle Aufgabe habe. Früher war ich oft bis 17 oder 18.00 Uhr jeden Tag da. Zu tun gibt es immer was, Tische wischen. Und man ist nicht allein“.

Kultursensible Arbeit, die wirkt

Mehr als 11.500 Senior*innen leben im Stadtbezirk 24, 19% von ihnen haben Migrationshintergrund.  Etwa 350 Klient*innen kommen regelmäßig zu Veranstaltungen oder nutzen die Beratungsangebote, einige kommen sporadisch. „Insgesamt erreichen wir etwa 600 Leute im Jahr mit unseren Angeboten. Das setzt eine kultursensible und werteorientierte Arbeit voraus. Wir müssen ganz viel erklären, oft auch erst einmal den Zugang ins System ermöglichen“, erklärt Carla Singer. Es ist viel Basis-Arbeit, bis eine kulturelle Teilhabe möglich ist, vorher stehen für die Senior*innen oft existentielle Fragen im Vordergrund, ein selbständiges Wohnen in den eigenen vier Wänden, eine funktionierende Heizung, ausreichend Essen. „Über die Jahre haben die Leute absolutes Vertrauen zu uns gewonnen. Sie wissen, dass sie mit allen Belangen und Themen zu uns kommen können“.  Das umfassende Beratungsangebot ist eine der Kernkompetenzen der offenen Seniorenarbeit. Die Einzelfallberatung schließt Themen wie Patientenverfügung, Bankangelegenheiten oder gesundheitliche Fragen ein. Ein wichtiges Angebot sind auch die präventiven Hausbesuche samt Wohnraumberatung. Eine Mitarbeiterin steht alleine 25 Stunden in der Woche für Fragen zum selbständigen Wohnen im Alter zur Verfügung, berät zu  Hilfsmitteln und gibt Tipps. „Wir können natürlich keine Aufzüge einbauen, aber wir können schauen, dass wir Schwellen niedriger machen, dass wir einen Treppenlift vielleicht einbauen lassen über die Wohnungsbaugesellschaft, dass wir Griffe im Bad anbringen, so dass die Senior*innen so lange wie möglich in ihrer Wohnung bleiben können, auch wenn es keine barrierefreie Wohnung ist.“ Dass hier viel gelingt, liegt an einem regelmäßigen Austausch mit politischen Akteur*innen, mit Vertreter*innen der Verwaltung und Wohnungsbaugesellschaft. „Wir verstehen es schon als politischen Auftrag und setzen uns dafür ein, dass diese Altbauten aus den 60ern und 70ern hier im Hasenbergl modernisiert und barrierefrei umgebaut werden.  Dass die Menschen hier wohnen bleiben können“, informiert Carla Singer.

Verlässliches Netzwerk an Kooperationspartner*innen

Es ist ein enges und belastbares Netzwerk, das die Mitarbeitenden der offenen Seniorenarbeit über die vergangenen Jahre geknüpft haben. „Wir haben einige Kooperationspartner*innen, mit denen wir lange schon eng zusammenarbeiten. Dazu gehört das Sozialbürgerhaus in Fragen der Grundsicherung im Alter, aber auch mit anderen sozialen Einrichtungen und Trägern, mit Wohnungsbaugesellschaften und der Landeshauptstadt München. Ein verlässlicher Partner in unserer täglichen Arbeit ist auch Regsam“. Das zusammen.tun. im Bereich der Seniorenarbeit für den Münchner Norden gelingt. Daran hat auch die Anknüpfung an verschiedene weitere Einrichtungen der Diakonie Hasenbergl einen bedeutenden Anteil. „Es spielt tatsächlich dann eine Rolle, wenn es um Expertisen geht, die wir in der Seniorenarbeit nicht originär mitbringen, wie zum Beispiel unsere Migrations-Einrichtungen PONTIS oder der Sozial- oder Gerontopsychiatrische Dienst. Das macht es uns sehr viel leichter, kompetente Unterstützung für spezifische Probleme einzuholen. Und auch die Vermittlung zu weiteren Diensten gelingt schneller und stärkt das Vertrauen der Klient*innen in unsere Arbeit“.

Die Entscheidung der Landeshauptstadt München, die Trägerschaft für das ASZ Hasenbergl an die Diakonie Hasenbergl zu übergeben, zollt der jahrelangen sinnvollen Arbeit vor Ort Respekt. In den vergangenen 20 Jahren haben die Mitarbeitenden des diakonischen Vereins eindrucksvoll und vor allem kreativ Angebote der Beratung, Einzelfallhilfe und Begegnung entwickelt und erfolgreich umgesetzt. Die Arbeit erfordert ein kultursensibles und werteorientiertes Vorgehen. „Wir müssen ganz viel erklären, unsere Klient*innen in grundlegenden Fragen unterstützen, ihnen den Zugang ins Hilfesystem ermöglichen. Das ist unsere Basis-Arbeit, die wir leisten müssen, bevor für die älteren Menschen überhaupt eine kulturelle Teilhabe möglich ist. Zuerst stehen existenzsichernde Fragen zu Wohnung, Essen oder Heizung im Vordergrund“.

Alleine die fehlenden Räumlichkeiten waren oft eine Hürde zur Umsetzung weiterer Projekte. „Ideen haben wir viele. Wir möchten gerne mehr Angebote für Menschen mit Migrationshintergrund machen, auch in der Muttersprache. Wir möchten gerne mehr Gesundheitsprävention anbieten, also Yoga, QiGong. Wir möchten gerne ein Café und ein Internet-Café einrichten, um Senior*innen, die keine eigene Technik zur Verfügung haben, in das Neuland zu begleiten. Aber auch Partys und Feiern stellen wir uns vor. Warum nicht mal einen ausgelassenen Disko-Abend mit ACDC?“ Auf der Ideenliste ganz oben: Generationenübergreifende Projekte, die auch die örtlichen Gegebenheiten und Bedürfnisse berücksichtigen. „Wir möchten alle abholen, die im Stadtteil leben und ihnen die Möglichkeit geben, mitzugestalten und eigene Initiativen umzusetzen.“

Im Juli 2022 soll das ASZ am Stanigplatz bezogen werden. Mit der Freude auf die neuen Räumlichkeiten schwingt auch ein bisschen Wehmut mit. Und Stolz auf die vergangenen Jahre. „Einige unsere Klient*innen kommen schon sehr lange zu uns, 20 Jahre lang. Für sie sind wir eine Heimat, ein zweites Wohnzimmer geworden. Unsere Arbeit wirkt, wir sind  ein verlässlicher Begleiter an der Seite unserer älteren Menschen. Es macht uns in gewisser Weise stolz, dass wir das leisten können.“