22.04.2020 | Ausgangsbeschränkungen stellen Familien vor besondere Herausforderungen
Mehr Telefon-, Email- und Onlineberatung, persönliche Termine bis auf weiteres nur in Notfällen - so hat sich die Familienberatungsstelle in der Riemerschmidstraße mit der Situation arrangiert. Nach drei Wochen zieht die Einrichtung der Diakonie Hasenbergl Bilanz: Die Probleme von Eltern, Kindern und Jugendlichen haben sich nicht unbedingt verändert. Manche Familien finden durch die Krise wieder zueinander. In anderen dagegen eskaliert es jetzt erst recht.

Tatsächlich kann die plötzliche Ruhe dazu führen, dass auch im Familienleben endlich wieder Ruhe einkehrt. Ohne übervolle Terminkalender entstehen Freiräume für Gespräche, kreatives Spiel und gemeinsame Alltagsgestaltung. Einige Eltern laufen zu Höchstformen auf. Dennoch darf man nicht übersehen, dass die staatlich verordnete Isolation für viele dramatisch ist. „Wir haben es auch mit Vätern und Müttern zu tun, die psychische Probleme oder existentielle Sorgen haben“, erzählt Gabriele Weingart-Körner, die die Familienberatungsstelle der Diakonie Hasenbergl leitet. „Kinder, die bisher durch Schule, Kindergarten und andere Einrichtungen halbwegs aufgefangen waren, sind derzeit alleine mit ihren Nöten. Das gilt auch für all jene, die unter Streit und Trennung der Eltern leiden oder Zeugen von häuslicher Gewalt werden.“ Deshalb pflegt das Team von Psycholog*innen und Sozialpädagog*innen zurzeit aktiv den Kontakt zu bekanntermaßen belasteten Familien. Ziel ist dabei vor allem, das Kindeswohl zu gewährleisten.
Anstieg der Scheidungen befürchtet
Von einem Babyboom nach Krisenende auszugehen wäre schön. Doch in der Familienberatungsstelle befürchtet man eher, dass die Zahl der Scheidungen erheblich zunehmen wird. Schon jetzt geht es bei vielen Beratungen um Trennungskonflikte und Probleme der Umgangsregelung. Aus diesem Grund wurde vor kurzem der „Kinder im Blick“- Kurs ins Programm aufgenommen. Das Angebot, das als Präventionsmaßnahme von Familien-Notruf und LMU München entwickelt wurde, soll Spannungen entschärfen, die Bedürfnisse der Kinder sichtbar machen und einen besseren Umgang miteinander ermöglichen. Dazu dient der Erfahrungsaustausch ebenso wie Gruppendiskussionen, Kurzvorträge und Rollenspiele. „Die Resonanz auf den ersten Kurs zeigt, wie groß der Bedarf allein in unserem Stadtteil ist“, meint Gabriele Weingart-Körner. „Umso mehr hoffen wir, dass wir die krisenbedingte Pause bald beenden und die siebenteilige Abendveranstaltung fortsetzen können.“
Schule daheim lässt viele außen vor
Auf ein baldiges Ende hoffen auch berufstätige und vor allem alleinerziehende Eltern, die gerade vor besonders extreme Herausforderungen gestellt sind. Der Alltag, die Arbeit, die Schule, die Freizeit: Was sich vorher noch räumlich verteilt hat, findet jetzt rund um die Uhr am selben Ort statt. Viele Schulen haben gut auf die Situation reagiert. Sie bieten Online-Unterricht und versorgen die Kinder per E-Mail mit Lernstoff und Hausaufgaben. Das hilft jedoch kaum in Familien, in denen die technische Infrastruktur mit Computer, Drucker und Zubehör gar nicht vorhanden ist. „Viele Kinder mit Migrationshintergrund hatten es schon vorher schwer in unserem Schulsystem, nun müssen sie noch größere Hürden überwinden“, meint Leyla Altenbach, die für die muttersprachliche Beratung zuständig ist. Aber auch deutsche Eltern können ihren Kindern zum Teil nicht gut beim Lernen helfen, sie haben Schwierigkeiten, die Erledigung der Aufgaben mit der nötigen Konsequenz einzufordern oder Sorge, die Übersicht zu verlieren.
Online-Beratung wird stärker genutzt
Wie gehe ich mit der Corona-Angst um? Wie kann ich die Situation kindgerecht erklären? Wie viel Smartphone, Tablet, TV oder Xbox darf ich erlauben? Und wie kann ich erreichen, dass mein Kind sich selbst beschäftigt? Fragen wie diese werden per Telefon oder E-Mail gerade oft an die Familienberatungsstelle gestellt. Jugendliche dagegen kommen eher über die Online-Beratung auf die Einrichtung zu und äußern dabei Probleme, die mit Corona nur wenig zu tun haben. „Vielmehr sind es Begleitumstände wie die Dauerpräsenz der Eltern, das Fehlen normaler Freizeitaktivitäten oder Einsamkeit durch den Mangel an realen Kontaktmöglichkeiten“, erklärt der stellvertretende Einrichtungsleiter, Oliver Freiling. „Soziale Medien und Netflix sind zwar eine Ablenkung, aber auf Dauer kein Ersatz.“
Seit letztem Jahr ist die Familienberatungsstelle an das anonyme und kostenfreie Onlineberatungsangebot der Bundeskonferenz für Erziehungsberatung e.V. angebunden. Im Zuge der Corona Krise wurde das Angebot von bislang fünf auf zehn Stunden pro Woche erweitert. www.bke-jugendberatung.de richtet sich dabei speziell an Jugendliche von 14 bis 21 Jahren, während Eltern die Beratungs- und Chat-Angebote auf www.bke-elternberatung.de nutzen können.
Wenn sich die Eltern streiten, leiden die Kinder. Viele Familien sind in der Zeit zu Hause besonders gefordert. Während einige zu Hause kreativ werden, ist für andere Familien die staatlich verordnete Isolation dramatisch.